Winnie Madikizela-Mandela: Revolutionärin, die den Geist des Widerstands am Leben hielt

Nachruf

Am 02. April 2018 starb Winnie Madikizela-Mandela. Wir erinnern uns an das auβergewöhnliche Leben einer bedeutenden südafrikanischen Symbolfigur.

Feminismus & Gender - Winnie Madikizela-Mandela
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Winnie Madikizela-Mandela während der Feier ihres 80. Geburtstages (2016)

Keine andere Frau – ob lebend oder bereits verstorben – nimmt einen Platz in der südafrikanischen Politik ein wie Winnie Madikizela-Mandela. Sie ist eine feste Größe des African National Congress (ANC) und steht dennoch über und manchmal außerhalb der Partei. Sie gilt als Legende und das über Partei- und geografische Grenzen hinweg, bei allen Generationen und Geschlechtern. Sie wurde von Schriftsteller/innen verewigt, von Dichter/innen unsterblich gemacht, und von Fotograf/innen vergöttert.

Ihr Leben war voll von Tragödien und Dramen. Aber es war auch überladen von den Erwartungen einer Welt, die sowohl nach gottgleichen Helden als auch nach eindimensionalen Schurken hungert, an denen sie entweder all ihre Träume festmachen oder ihre gesamte Wut auslassen kann. Vielleicht ist es jedoch in den kleineren und intimeren Geschichten unserer stolpernden Versuche, eine bessere Welt zu schaffen, dass wir die Bedeutung des Lebens von Madikizela-Mandela am besten erkennen und schätzen können.

Am Beispiel ihres besonderen Lebens werden die Gewalttätigkeiten des Kolonialismus und der Apartheid deutlicher, wie auch die tiefgreifenden Folgen der von Männern bestimmten politischen Bewegungen, die Frauen in erster Linie eine dekorative Rolle zuschrieben, und auch die tragischen Fehler, die in der Hexenjagd des späteren Bürgerkriegs begangen wurden.

Ihre politische Macht gründete sich aus Madikizela-Mandelas Fähigkeit, den Alltag schwarzer Menschen in einem rassistischen Staat mit ihrem eigenen, individuellen Leben zu verbinden. Da die Staatsmacht auf Winnies unbeugsamen Willen besonders exzessiv antwortete, wurden all seine bösartigen Dimensionen an ihr deutlich sichtbar und personifiziert.

Furchtlos angesichts von Folter, Inhaftierung, Verbannung und Verrat, blieb sie standfest in ihrer Überzeugung, dass die Apartheid zu Fall gebracht werden könnte. Sie sagte, was sie wollte, und trug die Konsequenzen. Ihr Leben ist Zeugnis der Brutalität des Systems.

Viele verkennen ihr Leben

Zahlreiche Nachrufe werden den weiten Bogen ihres Lebens skizzieren; nur wenige werden jedoch darauf eingehen, wie sich ihre revolutionären Ideen formierten, bevor sie Nelson Mandela kennenlernte. Für die meisten in ihren sozialen Kreisen zwischen den 1950er Jahren und 1980er Jahren, und sicherlich für die Biograf/innen von Nelson Mandela, war Madikizela-Mandela das junge, ländliche, naive Mädchen, das den begehrtesten (verheirateten) Mann der Stadt bezauberte.

Sie vor allem als schön zu betrachten, anstatt als aufstrebende politische Figur, prägte sowohl Portraits von Madikizela-Mandela in ihrer Zeit (denn sie war sicherlich zu jung und schön, um eine ernsthafte politische Idee zu haben), als auch wissenschaftliche historische Analysen des Anti-Apartheid Kampfes (die sich auf die Gedanken und Taten der Männer konzentrierten).

Diese Verkennung hallte im African National Congress (ANC) wider, der für Madikizela-Mandelas politische Qualitäten keinen Platz jenseits der vertrauten Rollen der Frau und Mutter fand. Scharfsinnig nahm sie die Rolle der Ehefrau eines politischen Führers und der Mutter auf, und nutze sie als Plattform für ihre eigene Variante des Radikalismus. Dabei hielt sie die Erinnerung an jüngste Erfahrungen der gewaltsamen Landenteignungen und deren Auswirkungen auf Bäuerinnen und Bauern im Ostkap wach, und berief sich auf die Idee der „black consciousness“.

Sie hielt diese Traditionen im ANC lebendig, besonders in der Alltagspolitik der Townships, wo die Parteiführung neue Ideale des Antirassismus entwickelte und „black consciousness“ zeitweise verurteilte. Obwohl Winnie aufgrund ihres Alters nicht selbst zum inneren Kreis der Student/innen der „black consciousness“ Bewegung gehörte, war sie eine Verbündete in Wort und Geist.

In dem Tumult nach dem Studierendenaufstand von 1976 baute sie eine Brücke zwischen verschiedenen politischen Flügeln. In den frühen 1990ern, als Nelson Mandela bewaffnete Jugendliche aufforderte, gewalttätige Strategien aufzugeben, wandte sich der ANC an Madikizela-Mandela (zusammen mit dem damaligen Führer der südafrikanischen kommunistischen Partei Chris Hani) und bat sie darum, ihren Taktikwandel zu verteidigen.

Bis zu ihrem Tod vermittelte sie zwischen Gemäßigten und Radikalen im ANC und seinen Abspaltungen. Dies war eine Form von Geschlechterpolitik, den ihr Status als „Mutter der Nation“ ermöglichte. Sie einigte die zerstrittenen Söhne und hielt ihre politische Familie zusammen, auch wenn sich der Frieden nur in ihrer Gegenwart hielt.

Weiße Macht und schwarzes Leiden

Winnie Madikizela wurde im September 1936 in Bizana, einem ländlichen Dorf im Ostkap, geboren. Ihre Eltern, Columbus und Gertrude, waren Lehrer, und ihre Kindheit war geprägt von dem strengen Methodismus ihrer Mutter und der radikalen afrikanischen Orientierung ihres Vaters.

Das ländliche Leben mit seinen fest verwurzelten Geschlechterrollen, bestimmte ihre Kindheit. Nicht nur war sich Winnie des Wunsches ihrer Mutter bewusst, einen weiteren Sohn zu bekommen, sie sollte sich auch zusammen mit ihren Schwestern um ihre männlichen Geschwister kümmern. Winnie war kaum acht Jahre alt, als ihre Mutter wenige Monate nach der Geburt eines Sohnes starb. Ihre Kindheit wurde verkürzt, und sie musste die Schule für sechs Monate verlassen, um auf dem Feld zu arbeiten. Mit ihren Schwestern erledigte sie alle Arbeiten im Haushalt vom Kochen bis zum Putzen. In dieser großen und strengen Familie, in der ihre Eltern Disziplin mit körperlicher Bestrafung aufrechterhielten, lernte sie, sich notfalls mit ihren Fäusten zu verteidigen.

Winnies ländlicher Hintergrund machte sie auf Landenteignung als zentrale Frage des Freiheitskampfes aufmerksam. Laut ihren eigenen Erzählungen erfuhr sie früh vom dem rassistischen Machtsystem. Ihr Vater lehrte sie über die Kriege der Xhosa gegen die Kolonisatoren, und später fantasierte sie davon, dass sie dort weitermachte, wo ihre Vorfahren versagt hatten:

„Wenn sie in diesen neun Xhosa-Kriegen versagten, bin ich einer von ihnen. Ich werde dort anfangen, wo die Xhosas endeten, und mein Land zurückbekommen.“

Während ihrer politischen Karriere hielt sie an dem Thema der Landenteignung durch den Kolonialismus fest. Damit verbunden war die Vorstellung, dass Rasse im Zentrum des Kolonialismus steht. Von ihrer Großmutter erfuhr sie, dass die Quelle des schwarzen Leidens weiße Macht sei. So formierte sich ihr politisches Verständnis von Beginn an durch ihre Familie, wie diese Kolonialismus verstand und durch ihre persönliche Demütigungen.

Wie viele andere ANC-Mitglieder mit Wurzeln im Ostkap, war für Winnie der Kampf in den Städten nicht der einzige Raum des Widerstands. Weder waren für sie Arbeiter die einzigen Akteure des Wandels. Im Jahr 1985 warnte sie:

„Der Weiße macht einen Fehler, wenn er denkt, dass der ländliche Schwarze unterwürfig und fügsam ist.“

Sie war militant bis ins Mark

Nach sechs kurzen gemeinsamen Jahren wurde Madikizela-Mandelas Ehemann Nelson zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt war auch sie untrennbar mit der Politik der nationalen Befreiungsbewegung verbunden, und das als Alleinerziehende. Sie konnte die Stimmung der Menschen wahrnehmen und war mehr eine empathische Anführerin als Theoretikerin oder Taktikerin. Als begabte Rednerin besaβ sie das Talent, das Publikum für sich zu gewinnen. Adelaide Joseph, eine Freundin und Kollegin im ANC, erinnert sich:

„Als sie ihre erste öffentliche Rede hielt ... direkt an Ort und Stelle, und während sie noch sprach, komponierten die Frauen ein Lied für Winnie Mandela. Und sie begannen dort in der Halle zu singen.“

Sie trat der ANC-Frauenliga und der Föderation südafrikanischen Frauen bei und nahm an mehreren Kampagnen teil. Sie war militant bis ins Mark. Einmal, als ein Polizist mit einer Vorladung zu ihrem Haus kam und es wagte, an ihrem Arm zu ziehen, griff sie ihn an und musste sich vor Gericht für die Tat verteidigen.

Sie war weit davon entfernt, eine Zuschauerin zu sein, oder eine passive Ehefrau, die geduldig auf die Entlassung ihres Mannes aus dem Gefängnis wartete. In ihrer Autobiografie schreibt Madikizela-Mandela mehreren anderen Frauen zu, sie politisch beeinflusst zu haben. Unter ihnen waren Lilian Ngoyi, Florence Matomela, Frances Baard und Kate Molale, alle Anführerinnen der Frauenföderation.

Für sie waren diese Frauen die "Spitze der ANC-Hierarchie", obwohl sich zu der Zeit keine Frau in einer formellen Führungsposition im ANC befand. Der ANC erlaubte Frauen erst im Jahr 1943 Vollmitglieder zu werden, und in den 1950er Jahren waren Frauen voll damit beschäftigt, um Anerkennung innerhalb der Bewegung zu kämpfen.

In der ANC Frauenliga und in der Föderation saβ Winnie einer Zweigstelle in Orlando vor und war Mitglied der Provinz- und Nationalvorstände. In den 1970er Jahren gründete sie mit ihrer engen Freundin Fatima Meer die Schwarze Frauenföderation. Es war eine kurzlebige Organisation, die nur wenige Kampagnen anleitete, aber sie signalisierte Zugehörigkeit zu der neuen Politik in den Townships, die das Land eroberte.

Ihre Arbeitsweise war nicht die des sorgfältigen Aufbaus einer Organisation. Ihre Fähigkeiten lagen vielmehr im öffentlichen Reden und darin, mit den Menschen in Kontakt zu treten, die unter den harten Bedingungen der Apartheid-Townships lebten. Sie besuchte Beerdigungen und beriet Familien, und demonstrierte damit öffentlich Solidarität, die Aktivist/innen ermutigte. Sie bot eine intime politische Führung an, indem sie sich instinktiv der Belange von Menschen in Not annahm.

Geschlecht war ihre politische Ressource, die es ihr ermöglichte, politische Gemeinschaften zu bilden und in das Leben der Menschen in den Townships einzutreten. Ihre Mutterrolle und Rolle der Ehefrau eines politischen Führers baute sie in eine Plattform um, von der aus sie den Apartheidstaat herausforderte.

"Wir wurden durch diese Erfahrung brutalisiert"

Wenn der Apartheidstaat gehofft hatte, sie zu brechen, scheiterte er. Winnie war furchtlos angesichts der Versuche des Staates, sie zum Schweigen zu bringen. Ihr Zuhause wurde wiederholt attackiert und durchsucht; immer wieder wurde sie angehalten, angegriffen und inhaftiert. Im Jahr 1977 wurde sie schließlich in einem Akt extremer Grausamkeit nach Brandfort verbannt, ein Ort im Free State, den sie weder kannte noch von dem sie je gehört hatte.

Es war eine entsetzliche Entwurzelung von ihrer Familie und Gemeinschaft in Soweto, eine Form des Exils, die sie als "mein kleines Sibirien" bezeichnete. Madikizela-Mandela begriff sehr deutlich die machtvollen Verbindungen von Angriffen auf ihre Person mit Angriffen auf die Nation. Wie sie es ausdrückte:

„Wenn sie mich ins Exil schicken, senden sie nicht mich als Individuum. Sie denken, dass sie mit mir auch die politischen Ideen verbannen können. Aber das ist eine historische Unmöglichkeit... Als Individuum bedeute ich ihnen nichts. Wofür ich stehe ist, was sie loswerden wollen.“

Aber obwohl der Staat Winnie nicht gebrochen hat, hat er sie nach eigenen Angaben brutalisiert. Über ihre lange Zeit der Einzelhaft und Folter im Jahr 1969 erzählte sie einem Journalisten:

„Die Einzelhaft von achtzehn Monaten hat mich tatsächlich verändert ... Wir wurden durch diese Erfahrung derart brutalisiert, dass ich begann an die Sprache der Gewalt zu glauben, und daran dass die Apartheid nur mit der gleichen Gewalt bekämpft werden kann, die sie gegen uns entfesselten. So wirkt sich diese Art von Brutalität auf einen aus.“

Die Folgen waren schrecklich, nicht nur für sie, sondern auch für Paul Verryn und besonders für die Familien von Stompie Seipei und Dr. Abu Asvat. Paul Verryn, ein methodistischer Pfarrer in Soweto, war von Winnie beschuldigt worden, Jungen sexuell missbraucht zu haben, darunter Stompie Seipei. Stompie Seipei kam gewaltsam zu Tode, mutmaβlich durch Mitglieder von Winnies ‚Mandela United Football Club‘. Dr. Abu Baker Asvat, ein Doktor in Soweto, hatte Stompie Seipei untersucht nachdem dieser zusammen geschlagen worden war, und wurde kurz danach ebenfalls unter mysteriösen Umständen umgebracht.

Dieser Abschnitt ihres Lebens und der südafrikanischen Politik im Allgemeinen wird nicht nur unsere moralischen Energien in Anspruch nehmen, sondern auch die Art und Weise prägen, wie die Gewalt der 1980er Jahren erzählt wird. Es waren dunkle Zeiten in einem Land, das von Ausnahmezustand und militarisierter Kontrolle beherrscht war. Die herausragende Qualität von Madikizela-Mandelas Leben bedeutet auch, dass es die Albträume der Befreiungskämpfe unserer Nation widerspiegelte.

Der ANC konnte kaum ihre Art von Führung kontrollieren. Wie viele Frauen in der Bewegung wurde sie von ihren mächtigen Entscheidungsstrukturen ausgegrenzt. Im Gegensatz zu den männlichen Anführern stand ihr Privatleben ständig im Rampenlicht (zweifellos unterstützt von einer eifrigen Sicherheitsmaschinerie, die sie ständig beaufsichtigte), und sie wurde hart und unfair für ihre privaten Entscheidungen beurteilt. Obwohl sie meisterhaft mit den familiären Kategorien von Frau und Mutter spielte, fühlte sie sich auch von ihnen eingegrenzt.

Kommentator/innen verwenden gern Wörter wie "Einzelgängerin" und "eigensinnig", um sie zu beschreiben. Diese Tendenzen entwickelte sie jedoch, weil die regulären Strukturen des ANC eine mächtige Frau mit einer radikalen Stimme nicht leicht integrieren konnten. Indem sie immer wieder die offizielle Parteilinie überschritt, setzte sie auch Zeichen ihrer Unabhängigkeit. Sie verweigerte die beschränkten politischen Rollen, die Frauen innerhalb des ANC und in der breiteren Gesellschaft zugänglich waren. Diese Überschreitungen ermöglichten ihr auch, sich mit neuen Stimmen, die nach 1994 entstanden, zu verbünden. Angefangen bei der Treatment Action Campaign, die sich gegen die desaströse HIV/AIDS-Politik des Präsidenten Thabo Mbeki wandte, bis hin zur Unterstützung der Gründung der neuen, linksradikalen Partei ‚Economic Freedom Fighters‘. Diese Bündnisse erklären die große Zuneigung, die viele jungen Aktivist/innen für sie hegen, die ebenso kritisch sind gegenüber den verfestigten Machtstrukturen in der Politik.

Der endlose Strom von Fotos, die sie in romantischer Umarmung mit Nelson Mandela darstellen, sogar jetzt nach ihrem Tod und trotz ihrer Scheidung, verfehlt den wichtigsten Punkt: dass diese Ehe nur ein kleiner Teil ihres Lebens war. Sie nur als Frau und meist als Mutter darzustellen, bedeutet, die vielen Kämpfe, die sie führte, um für sich selbst zu stehen, auszulöschen.
 

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache in The Conversation veröffentlicht. Übersetzt von Layla Al-Zubaidi.